Ökonomiegebot – Rückforderung des Honorars für nicht notwendige oder zweckmäßige ärztliche Leistungen

  • 133 Abs 2 ASVG; § 273 ZPO LG Linz 7. 7. 2011 16 R 53/11v

 

Behauptet der Krankenversicherungsträger, ein Vertragsarzt habe gegen das Ökonomiegebot verstoßen, so muss er konkret aufzeigen, welche der verrechneten Leistungen nicht notwendig oder zweckmäßig waren.

Sachverhalt:

Der Beklagte ist Facharzt für Orthopädie in T.. S. war bei ihm vom 7.1.2009 bis 20.3.2009 in Behandlung. Für die Behandlung hat ihr der Beklagte EUR 3.103,05 in Rechnung gestellt. Sie hat diesen Betrag an den Beklagten bezahlt.

Die klagende Partei begehrte nun mit ihrer Klage vom Beklagten die Bezahlung von EUR 1.818,69 s.A.. Eine Überprüfung durch den Chefarzt der klagenden Partei habe ergeben, dass die angemessenen Kosten für die Behandlung maximal EUR 1.286,36 betragen würden, und die darüber hinausgehenden Kosten nicht berechtigt seien. S. habe ihren Rückforderungsanspruch gegenüber dem Beklagten an die klagende Partei (Krankenversicherung der S.) zum Inkasso abgetreten. Der Beklagte habe Leistungen in Rechnung gestellt, die weder notwendig noch zweckmäßig gewesen seien .Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung und wandte im Wesentlichen ein, dass der für die durchgeführten ärztlichen Behandlungen der Patientin S. in Rechnung gestellte Betrag von EUR 3.108,85 angemessen sei. Sämtliche erbrachte Leistungen seien zu angemessenen Tarifen in Rechnung gestellt worden. ….

Mit dem angefochtenen Urteil erkannte das Erstgericht den Beklagten schuldig, der klagenden Partei einen Betrag von EUR 775,76 s.A. zu bezahlen. Das Mehrbegehren von EUR 1.040,92 s.A. wurde abgewiesen. …

Der Behandlungskomplex, den der Beklagte bei der Zeugin S. durchführte, umfasste (nach den Feststellungen des Erstgerichts) die manuelle Therapie, Infiltrationen, Injektionen sowie physikalische Behandlungen. Nach Abschluss der Behandlungen durch den Beklagten bzw. Mitarbeiterinnen seiner Ordination war die Zeugin schmerzfrei; die Behandlung hat der Zeugin S. geholfen. Auf Grund der bei der Zeugin S. vorliegenden Diagnose hat der Beklagte eine medizinisch richtige Behandlung durchgeführt. Ziel der Behandlungen durch den Beklagten war es zum einen, die Zeugin S. wieder schmerzfrei zu machen und zu verhindern, dass chronische Schmerzen entstehen. Um dieses Ziel zu erreichen, machte der Beklagte „alles was medizinisch sinnvoll und notwendig ist“. An eine ökonomische Verwendung der Mittel dachte er dabei nicht.

Das Erstgericht gelangte unter Anwendung des § 273 ZPO zum Ergebnis, dass für die klagsgegenständlichen Behandlungen der Zeugin ….ein Betrag von EUR 2.327,28 angemessen sei. Das entspreche drei Viertel der Rechnungssumme. Die Anwendung des § 273 ZPO begründete das Erstgericht … im Rahmen seiner Beweiswürdigung wie folgt:

Der Sachverständige Dr. H. habe ausgeführt, dass hier die ökonomische Verschreibung zum Teil zu hinterfragen sei. Eine konkrete Zahl bzw. konkrete Behandlungsschritte, die hier dem Ökonomiegebot nicht entsprächen, nenne der Sachverständige allerdings nicht. Auch die klagende Partei habe es im Verfahren unterlassen, konkret aufzuzeigen, welche der verrechneten Leistungen nicht dem Ökonomiegebot entsprächen bzw. aus anderen Gründen nicht zu honorieren seien. Es sei dem Gericht nicht einmal in eine Berechnung vorgelegt worden, wie der Chefarzt Dr. G. zu dem Betrag von EUR 1.286,36 komme. Ein bloßer Vergleich mit den Kosten anderer Orthopäden bei „vergleichbaren“ Beschwerden, vermöge die von der klagenden Partei durchgeführte Reduktion nicht substanziiert zu begründen. Dem Gericht bleibe letztlich nur übrig, den angemessenen Betrag für die vom Beklagten durchgeführten Leistungen auf Basis der Bestimmung des § 273 ZPO festzulegen. Halte man sich dazu die gesamten Beweisergebnisse vor Augen, wonach zwar die durchgeführten Behandlungen durchaus medizinisch richtig waren, jedoch auf der anderen Seite auch die ökonomische Verschreibung teilweise zu hinterfragen sei, so scheine hier ein Abzug vom Rechnungsbetrag von 25 % angemessen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten hinsichtlich des klagsstattgebenden Teiles.

Die Verweigerung der Honorierung notwendiger und zweckmäßiger Leistungen im Rahmen der Heilbehandlung unter Berufung auf das Ökonomiegebot ist unzulässig.

Aus den Entscheidungsgründen:

Im Übrigen ist die Berufung aus dem Berufungsgrund der rechtlichen Beurteilung aber berechtigt: Die klagende Partei hat nicht geltend gemacht, dass die vom Beklagten in seiner Honorarnote detailliert verzeichneten Leistungen etwa zu unangemessen hohen Tarifen abgerechnet worden seien, sondern es wurde vorgebracht, der Beklagte habe Leistungen in Rechnung gestellt, die weder notwendig noch zweckmäßig gewesen seien Die klagende Partei hat es aber im Verfahren unterlassen, konkret aufzuzeigen, welche der verrechneten Leistungen nicht notwendig oder zweckmäßig gewesen sein sollen (darauf hat bereits das Erstgericht in seiner Beweiswürdigung hingewiesen). Das Erstgericht hat demnach auch keine Feststellungen getroffen, dass und welche Leistungen des Beklagten nicht notwendig gewesen seien. Vielmehr wurde festgestellt, dass der Beklagte bei der Zeugin S. auf Grund der vorliegenden Diagnose eine medizinisch richtige Behandlung durchgeführt hat und er „alles was medizinisch sinnvoll und notwendig ist“ machte. Die im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung enthaltene Formulierung, wonach für die klagsgegenständlichen Behandlungen der Zeugin S. … ein Betrag von EUR 2.327,28 angemessen sei, ist zweifellos keine Tatsachenfeststellung, sondern eine vom Erstgericht als zulässig erachtete Betragsfestsetzung im Sinne des § 273 ZPO. Das Erstgericht begründet diese Festsetzung ausschließlich damit, dass der Sachverständige Dr. H. ausgeführt habe, „die ökonomische Verschreibung sei zum Teil zu hinterfragen“.Die Frage, ob die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 273 ZPO vorliegen, ist eine Verfahrensfrage. Es stellt daher einen Verfahrensmangel dar, wenn die Voraussetzungen des § 273 ZPO zu Unrecht angenommen wurden (vgl. etwa Rechberger in Rechberger, ZPO³, Rz 12). Im Rahmen einer Bagatellberufung – wie im vorliegenden Fall – kann allerdings zufolge § 501 Abs 1 ZPO eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens nicht gerügt werden. Die Betragsfestsetzung nach § 273 ZPO selbst ist aber nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung eine Frage der rechtlichen Beurteilung (Rechberger, aaO, Rz 5; RIS-Justiz RS0040322), die auch im Rahmen einer Bagatellberufung nach § 501 ZPO überprüfbar ist. Die klagende Partei behauptete nicht, dass der Beklagte Leistungen betragsmäßig zu überhöhten Tarifen verrechnet habe, sondern dass Leistungen in Rechnung gestellt worden seien, die weder notwendig noch zweckmäßig gewesen seien, ohne dies näher zu konkretisieren. Gerade dieses, nämlich dass Leistungen nicht notwendig oder zweckmäßig gewesen seien, hat die klagende Partei im erstgerichtlichen Beweisverfahren nicht unter Beweis stellen können. Das Erstgericht hat daher auch diesbezüglich keine Tatsachenfeststellung getroffen und wollte solche auch dezidiert nicht treffen. Selbst wenn man hier § 273 ZPO für anwendbar erachtet (ob die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit tatsächlich vorlagen, ist hier durch das Berufungsgericht – wie bereits oben ausgeführt – nicht mehr zu überprüfen), ergibt die Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO nach Auffassung des Berufungsgerichtes keinen relevanten Betrag, um den die Honorarnote des Beklagten zu reduzieren ist. Hatte der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten noch ausgeführt, die ökonomische Verschreibung sei hier sicherlich zum Teil zu hinterfragen, zumal offensichtlich pro Tag eine Vielzahl von Injektionen, Infiltrationen, physikalische Therapien und auch manualmedizinische Eingriffe an der Patientin durchgeführt wurden (…), konnte der Sachverständige im Rahmen der mündlichen Gutachtenserörterung (…) kein Übermaß an Behandlungsschritten feststellen, insbesondere auch keine Unnotwendigkeit von Behandlungen. Angesichts dessen führt selbst die Anwendung des § 273 ZPO zu keiner relevanten betragsmäßigen Minderung der vom Beklagten in Rechnung gestellten Honorarforderung, zumal die Angemessenheit der verzeichneten Beträge (Tarife) an sich von der klagenden Partei nicht in Abrede gestellt wurde. Der Berufung war daher Folge zu geben und das Klagebegehren über den bereits vom Erstgericht abgewiesenen Teil hinaus zur Gänze abzuweisen.

Anmerkung:

Die Träger der Krankenversicherung sind grundsätzlich dazu verpflichtet, die Kosten diagnostischer und therapeutischer Leistungen, die lege artis erbracht werden, zu tragen. Die österreichische Rechtsordnung kennt kein umfassendes Ökonomiegebot, was die Krankenbehandlung auf Kosten eines Krankenversicherers im Sinne einer Leistungslimitierung betrifft. Allerdings bestimmt z.B. § 133 Abs 2 ASVG, dass die Krankenbehandlung „ausreichend und zweckmäßig sein“ muss, sie „jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“ dürfe. § 3 des Übereinkommens der verfahrensgegenständlich klagenden Partei mit der Ärztekammer vom 31. Dezember 1973 (Honorarordnung) verpflichtet den Arzt zur „gebührenden Bedachtnahme“ auf eine ökonomische Verwendung der der klagenden Partei zur Verfügung stehenden Mittel.

Mazal (Mazal, Krankheitsbegriff; Mazal in Kopetzki/Zahrl, Behandlungsanspruch und Wirtschaftlichkeitsgebot) und ihm folgend die Rechtssprechung haben dieses Ökonomiegebot nicht so interpretiert, dass hier ein eigenes System der Versorgung von Sozialversicherten aufgestellt wird; das Wesen der Krankenversicherung besteht vielmehr darin, dass die vorhandenen Güter einzusetzen sind (Mazal in Kopetzki/Zahrl, aaO, 31 f). Gegen das Ökonomiegebot wird lediglich bei „extremer Zweckwidrigkeit des Mitteleinsatzes“ verstoßen (Mazal in Kopetzki/Zahrl, aaO, 30); ein offensichtliches Missverhältnis zwischen medizinischem Aufwand und erreichten Effekten (Mazal in Kopetzki/Zahrl, aaO, 31) führt erst zu einer Verletzung des Ökonomiegebotes (vgl. zum Ganzen auch die Übersicht bei Buchrucker, Ressourcenknappheit und Arzthaftung, in Krückl (Hg.), Vielschichtiges Medizinrecht, 6 ff.).

Angesichts der bereits vom Erstgericht getroffenen Feststellungen einer erfolgreichen, fachgerechten, gebotenen Behandlung konnte daher denknotwendig keine Verletzung des Ökonomiegebotes vorliegen.

Das Berufungsgericht erteilte zu Recht aber auch der „Rasenmähermethode“ bei einer allfälligen Honorarkürzung eine Absage. Beruft sich ein Krankenversicherungsträger auf eine Überschreitung der Grenze der notwendigen und zweckmäßigen Heilbehandlung, hat er zu begründen, warum und welche Leistungen im Einzelnen nicht lege artis gewesen sein sollen (siehe dazu Mazal in Kopetzki/Zahrl, aaO, 33). Zudem sind bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit von Leistungen gesamthafte Abwägungen (Mazal in Kopetzki/Zahrl, aaO, 31) vorzunehmen. Das kann z.B. dazu führen, dass eine kurze, intensive Behandlung mit dem Ziel der Verhinderung der Schmerzchronifizierung einer längeren Therapie vorzuziehen ist.

Ein Tipp für die Praxis: Die allgemeine Ressourcenverknappung für immer wieder dazu, dass Krankenversicherungsträger die Honorierung von ärztlichen Leistungen unter Hinweis auf das Ökonomiegebot (teilweise) verweigern. Eine genaue Dokumentation einzelner Behandlungsschritte samt Begründung ihrer Notwendigkeit im Sinne der leges artis (Fachliteratur, Leitlinien, Richtlinien von Fachgesellschaften, Ergebnisse von Konsensus-Meetings, Checklisten, Handbücher etc.) erleichtert die Anspruchsdurchsetzung oder die Abwehr unberechtigter Rückforderungsansprüche.

 

11.8.2011                                                                                                                                      Karl Krückl