Refraktiver Eingriff bei einem Minderjährigen; Aufklärungsumfang bei fehlenden österreichischen Richtlinien

Behandlungsvertrag
§ 1295 ABGB; § 1489 ABGB
OLG Linz 30. 6. 2014, 4 R 104/14 p
Aufklärungsumfang; Verjährungsbeginn

Refraktiver Eingriff bei einem Minderjährigen; Aufklärungsumfang bei fehlenden österreichischen Richtlinien; Beginn der Verjährungsfrist

Bei einem medizinisch nicht zwingend notwendigen refraktiven Eingriff sind besonders strenge Anforderungen an die Aufklärungspflicht zu stellen. Der Arzt muss darüber aufklären, dass die Nichterreichung des Eingriffszieles „Leben ohne Kontaktlinsen und Brille“ häufiger eintritt als medizinische Komplikationen an sich.

Bei unterschiedlichen wissenschaftlichen Meinungen zur Durchführung von Eingriffen bei minderjährigen Patienten besteht auch bei Fehlen einer österreichischen Richtlinie eine Aufklärungsverpflichtung über die entsprechenden unterschiedlichen wissenschaftlichen Meinungen.

Die Verjährungsfrist beginnt erst zu laufen, wenn der Geschädigte durch ein Sachverständigengutachten Einblicke in die medizinischen Zusammenhänge erlangt.

Sachverhalt:

Der damals 16-jährige Kläger unterzog sich zur Korrektur seiner Fehlsichtigkeit und seines Astigmatismus 2001 am rechten und 2002 am linken Auge einer operativen Oberflächenbehandlung (PRK). Er begehrt wegen Verletzung der Aufklärungspflicht Schmerzengeld, Rückersatz des bezahlten ärztlichen Honorars, Fahrtkosten und die Feststellung der Haftung für künftige Schäden.

Der Kläger wollte ein künftiges Leben ohne keine Sehbehelfe (Kontaktlinsen, Brille). Der Beklagte legte mehrere Operationsmöglichkeiten dar. Nicht erörtert wurde, dass es unterschiedliche wissenschaftliche Meinungen zur Durchführung der Operation vor allem bei minderjährigen Patienten gibt. Dem Kläger wurde erklärt, dass eine Narkose ein gewisses Risiko mit sich bringt; über die Risken der Augenoperation wurde im Detail nicht gesprochen. Der Beklagte erklärte dem Kläger, dass er nach der Operation keine Kontaktlinsen und keine Brillen mehr brauchen werde, dass dies jedoch möglicherweise nach Eintritt der Altersweitsichtigkeit wieder notwendig werden könne.

Die häufigste Komplikation beim refraktiven Eingriff ist die Nichterreichung seines Zieles. Zum Zeitpunkt der beiden Eingriffe am knapp 16-jährigen Kläger bestanden in Deutschland und in den USA, nicht jedoch in Österreich, Richtlinien hinsichtlich des Alters des Patienten, wonach man ein junges Auge nicht operieren sollte und eine Altersgrenze von 18 Jahren als geeignet erscheine. Beim Kläger waren die präoperativen Refraktionswerte zudem zumindest an der Grenze des medizinisch Machbaren.

Direkt nach der Operation hatte der Kläger keine Probleme. Im Jahr 2005 stellte er Sehschwächen fest und suchte den Augenarzt Dr. S. auf. Es wurde ihm mitgeteilt, dass er nicht 0 Dioptrien habe und sein Augenmuskel verspannt sei. Es wurden weiche Kontaktlinsen angepasst. Im Abstand von ca. ein bis drei Monaten stieg die Dioptrienzahl weiter an, wobei die Kontaktlinsen weiter angepasst wurden. Dies zog sich bis ins Jahr 2008. Dr. S. teilte dem Kläger mit, dass Komplikationen mit den Linsen als Folge der Laserbehandlung bestehen. Dr. S. hat dem Kläger nicht mitgeteilt, dass die Operation eine Fehlentscheidung gewesen sei. Der Kläger wollte eine weitere medizinische Meinung und wandte sich an Dr. W. Dieser verwies ihn an das Allgemeine Krankenhaus L. Dort wurde ihm Ende 2008 von einer Nachoperation abgeraten und er an Prim. Dr. D. verwiesen. Ab diesem Zeitpunkt war es für den Kläger klar, dass ein Ausgleich seiner Fehlsichtigkeit mit Kontaktlinsen nicht zu seiner Zufriedenheit möglich sein werde. Weiche Kontaktlinsen konnte er aufgrund der bei der Operation entstandenen Unebenheiten nicht verwenden, harte Kontaktlinsen fielen ihm heraus. Dem Kläger blieb nur die Korrektur mittels Brille, die er verwendet. Auch Prim. Dr. D. schloss eine Nachoperation klar aus und riet dem Kläger zur Kontaktierung der Patientenanwaltschaft.

Im Mai 2009 wandte sich der Kläger an die Salzburger Patientenanwaltschaft, die vom Beklagten Behandlungsunterlagen einforderte und zwei ärztliche Stellungnahmen einholte, die im September 2009 und im August 2011 vorlagen. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2011 teilte die Salzburger Patientenvertretung dem Kläger mit, dass die Haftpflichtversicherung des Beklagten eine Schadensregulierung ablehne.

Zum derzeitigen Zeitpunkt ist der Kläger wieder weitsichtig und zeigt auf beiden Augen einen Astigmatismus. Das sphärische Äquivalent wurde durch die Eingriffe zwar reduziert, der Astigmatismus hat jedoch zugenommen. Zusätzlich findet sich auch eine irreguläre Komponente des Astigmatismus. Die Sehleistung am linken Auge, die vor der Operation 100 % war, ist zur Zeit mit Brille nur auf 90 % zu korrigieren. Derzeit weist das rechte Auge ca. 2,5 Dioptrien, das linke Auge 2 Dioptrien auf. Vor der Operation waren es ca. 4,4 Dioptrien. Die sphärischen Äquivalente von 4,4 sind auf 2 bzw. 2,5 gesunken, dafür ist der Zylinder gestiegen. Aufgrund der Behandlung ist beim Kläger eine erhöhte Blendungsempfindlichkeit gegeben.

Aus den Entscheidungsgründen:

Teilt der behandelnde Arzt dem Patienten vor einem refraktiven Eingriff mit, dass er nach der Operation keine Kontaktlinsen und keine Brillen mehr brauche, ruft er damit eine ganz konkrete Vorstellung über das Operationsergebnis hervor, die auch Grundlage für den Abschluss des Behandlungsvertrages und die Einwilligung wird.

Ist der Eingriff (wie hier) medizinisch nicht zwingend notwendig, sind an die Aufklärungspflicht besonders strenge Anforderungen zu stellen. Der Arzt muss den Patienten offen darüber aufklären, dass die vom Arzt hervorgerufenen Vorstellungen des Patienten über das Operationsergebnis nicht immer verwirklicht werden, insbesondere, wenn das Nichterreichen des Operationszieles häufiger ist als medizinische Komplikationen an sich.

Bestehen in Österreich noch keine medizinischen Richtlinien hinsichtlich einer Altersgrenze bei einem Eingriff, muss der Arzt trotzdem über unterschiedliche wissenschaftliche Meinungen zur Durchführung der Operation aufklären.

Nach ständiger Rechtssprechung ist der Arzt aufgrund des Behandlungsvertrages verpflichtet, den Patienten über die Art und Schwere sowie die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen einer Behandlung zu unterrichten (RS0038176). Für die nachteiligen Folgen einer ohne Einwilligung oder ausreichende Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten haftet der Arzt selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen ist, es sei denn, der Arzt behauptet und beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (RS0038485). Grundlage der Haftung wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht ist in erster Linie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, in dessen körperliche Integrität durch den ärztlichen Eingriff eingegriffen wird. Der Patient muss in die jeweilige konkrete Behandlungsmaßnahme einwilligen, Voraussetzung für eine sachgerechte Entscheidung des Patienten ist eine entsprechende Aufklärung (RS0118355). Die ärztliche Aufklärung soll also den Patienten in die Lage versetzen, die Tragweite seiner Einwilligung zu überschauen (RS0026413). Der Patient kann nur dann wirksam eine Einwilligung geben, wenn über die Bedeutung des vorgesehenen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde; üblicherweise werden die Risiko-, die Diagnose- und die Verlaufsaufklärung unterschieden (RS0026499; RS0118355). Die ärztliche Aufklärungspflicht reicht umso weiter, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist. Dann ist die ärztliche Aufklärungspflicht im Einzelfall selbst dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind (RS0026313). Gerade bei Operationen, die medizinisch nicht unmittelbar notwendig zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit sind, muss dem Patienten die Möglichkeit gegeben werden, frei zu entscheiden, ob er sich dem Eingriff auch dann unterziehen wolle, wenn dessen Ergebnis zweifelhaft ist (so zu kosmetischen Operationen RS0026313 [T26]; 6 Ob 122/07 w).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Beklagte den bei medizinisch nicht zwingend notwendigen Eingriffen – wie hier – besonders strengen Anforderungen an die Aufklärungspflicht nicht gerecht geworden. Der Beklagte hat dem Kläger mitgeteilt, dass er nach der Operation keine Kontaktlinsen und keine Brillen mehr brauche, dies zumindest bis zum Eintritt der Altersweitsichtigkeit. Damit hat er beim Kläger eine ganz konkrete, nicht verwirklichte Vorstellung über das Operationsergebnis hervorgerufen, die auch Grundlage für den Abschluss des Behandlungsvertrages und die Einwilligung in die Operation war; der Beklagte hätte aber in diesem Fall offen darüber aufklären müssen, dass diese Vorstellungen des Klägers durch die Operation nicht immer verwirklicht wird [sic!], immerhin ist das Nichterreichen des Ziels bei einem solchen Eingriff häufiger als medizinische Komplikationen. Zumindest hätte der Beklagte angesichts des Alters des Klägers auch darüber aufklären müssen, dass es vor allem bei minderjährigen Patienten unterschiedliche wissenschaftliche Meinungen zur Durchführung der Operation gibt; diese Aufklärungsverpflichtung besteht unabhängig davon, dass noch keine Richtlinie hinsichtlich einer Altersgrenze in Österreich gültig war. Damit hat aber der Beklagte über wesentliche Grundlagen für die Entscheidung des Klägers, ob er weiterhin mit Brille oder Kontaktlinsen leben möchte oder sich auf eine Operation einlässt, nicht aufgeklärt, im Gegenteil sogar selbst die Zielvorstellung des Klägers auf ein Leben ohne Sehbehelfe hervorgerufen und auch noch bestätigt.

Da der Kläger bei der Operation erst annähernd 16 Jahre alt war und bereits im Jahr 2005 wieder einen Sehbehelf benötigte und nun keine Kontaktlinsen mehr tragen, besteht kein Grund, die Rückersatzansprüche des Klägers im Wege einer Vorteilsanrechnung zu reduzieren [wird ausgeführt].

Wendet man die Rechtssprechung zum Beginn der Verjährungsfrist (4 Ob 144/11 x) auf die Ansprüche des Klägers an, so sind diese nicht verjährt. Ende 2005 wurde ihm zwar von Dr. S. mitgeteilt, dass er nicht 0 Dioptrien hat und sein Augenmuskel verspannt ist. In der Folge stieg die Dioptrienzahl und zog sich die Anpassung von Kontaktlinsen dann bis ins Jahr 2008. Aus der bloßen Kenntnis, dass seine Dioptrienzahl nicht 0 ist, hätte der Kläger allenfalls mutmaßen können, dass das Ziel der Operation, nämlich ein Leben ohne Sehbehelfe, trotz und wegen der Operation nicht erreicht ist. Entgegen der Auffassung des Berufungswerbers folgt nämlich aus den Feststellungen nicht, dass der Beklagte eine Reduzierung der Dioptrien auf 0 zugesagt hätte, sondern lediglich die Vorstellung eines Lebens ohne Sehbehelfe hervorgerufen hat. Wie der Beklagte auch selbst ausgeführt hat, kann eine geringe Dioptrienzahl vom Auge insoweit akkommodiert werden, dass keine Brille benötigt wird. Eine bloße Mutmaßung des Klägers kann aber noch nicht [mit] der tatsächlichen Kenntnis der relevanten Umstände gleichgesetzt werden (4 Ob 144/11 x mwN). Da dem Kläger von Dr. S. auch mitgeteilt wurde, dass sein Augenmuskel verspannt ist und der Kläger Laie ist, kann aus dieser Mitteilung des Dr. S. noch keine Kenntnis des Kausalzusammenhangs und der Umstände, die das Verschulden begründen, unterstellt werden. Die Notwendigkeit eines Sehbehelfes könnte ihren Grund auch in einer weiteren neu hinzutretenden Ursache haben. Nachdem sich die Behandlung bei Dr. S. bis ins Jahr 2008 hinzog und er erst in der Folge weitere Ärzte aufsucht, die ihm rieten, sich an die Patientenanwaltschaft zu wenden, was er in der Folge auch tat, kann ihm nicht angelastet werden, dass er nicht bereits im Jahr 2006 ein Privatgutachten eingeholt hat, wozu ohnedies nur ausnahmsweise eine Verpflichtung besteht. Insbesondere hatte der Kläger – der sich in fachärztlicher Behandlung befand – zumindest bis Sommer 2008 keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Komplikationen nicht auf allfällige zwischenzeitlich hinzugetretene weitere Ursachen zurückzuführen wären. Wenn man ausgehend von den Feststellungen, dass der Kläger im August 2008 dann davon überzeugt war, dass ein Ausgleich seiner Sehschwäche aufgrund der Operation durch den Beklagten nicht mehr möglich war und damit eine Obliegenheit angenommen wird, Schritte zur Objektivierung des Ursachenzusammenhangs zu setzen, dann ist dieser ohnedies dadurch nachgekommen, dass er sich an die Patientenanwaltschaft gewandt hat. Unter Berücksichtigung der durch § 58 a Abs. 1 ÄrzteG für die Einschaltung der Patientenvertretung normierten Fortlaufshemmung (RS0121579) waren daher im Zeitpunkt der Klagseinbringung die Ansprüche des Klägers nicht verjährt.

Hinweis für Praktiker:

Werden im Zuge der Aufklärung beim Patienten ganz konkrete Vorstellungen über das Operationsergebnis geweckt, muss der Arzt darüber aufklären, dass diese Vorstellungen durch die Operation nicht immer verwirklicht werden können. Tut dies der Arzt nicht, werden die (falschen) Vorstellungen des Patienten Bestandteil des Behandlungsvertrages und kommt zu einer Haftung des Arztes für den Eintritt des Erfolges.

Refraktive Eingriffe, die (lediglich) das Ziel haben, dem Patienten ein Leben ohne Sehbehelf zu ermöglichen, sind medizinisch nicht zwingend notwendige Eingriffe. An die Aufklärungspflicht sind dieselben strengen Anforderungen zu stellen wie bei Ästhetischen Behandlungen und Operationen ohne medizinische Indikation (§ 1 Abs. 1 ÄsthOpG); § 5 Abs. 1 Z 5 ÄsthOpG spricht in diesem Zusammenhang vom „in Aussicht gestellten Ergebnis des Eingriffs und möglichen Abweichungen“.

Dr. Karl Krückl, MA PLL.M (Medical Law)

Anmerkung:

Das Bundesgesetz über die Durchführung von ästhetischen Behandlungen und Operationen (ÄsthOpG), BGBl. I Nr. 80/2012, ist mit 1. Jänner 2013 in Kraft getreten (§ 13 ÄSthopG) und nur auf nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes begonnene oder vertraglich vereinbarte ästhetische Behandlungen und Operationen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens begonnen wurden, sowie in unmittelbarem Zusammenhang mit zuvor begonnenenen Eingriff stehenden nicht unbedingt erforderliche Nachbehandlungen anzuwenden (§ 12 Abs 1 ÄSthopG). Es ist daher alleine schon aus diesem Grund auf den gegenständlichen Fall mit den Eingriffen 2001/2002 nicht anzuwenden.

Fiele der Eingriff, wäre er 2013 geschehen, unter das ÄSthopG? Entscheidungskriterium ist die medizinische Indikation der Operation. Lediglich Operationen ohne medizinische Indikation sind vom ÄSthopG erfasst (§ 1 Abs 2 ÄSthopG), wobei es zu „einer subjektiv wahrgenommenen Verbesserung des optischen Aussehens“ kommen soll (§ 3 Abs 1 Z 1 ÄSthopG). Der Wegfall der Notwendigkeit, eine Brille zu benutzen, stellt eine solche „subjektiv wahrgenommenen Verbesserung des optischen Aussehens“ dar. Die „medizinische Indikation“ wird nach § 3 Abs 1 Z 4 ÄsthOpG als gegeben gesehen, wenn damit (ua) ein „anatomische(r) oder funktionelle(r) Krankheitszustand“ beseitigt wird. Auch wenn die „medizinische Indikation“ als de facto im ÄsthOpG damit nicht definiert angesehen wird , wäre sie im gegenständlichen Fall zu bejahen, da beim Kläger eine Fehlsichtigkeit und somit ein funktionaler Krankheitszustand vorlag. Dient eine Operation sowohl kosmetischen Zwecken als auch (ua) dem Versuch der Beseitigung funktionaler Krankheitszustände, ist sie keine ästhetische Operation iSd ÄsthOpG.

Dr. Karl Krückl, MA PLL.M (Medical Law)