Zur Führung der Berufsbezeichnung „Primararzt“

von Rechtsanwalt Dr. Karl Krückl, Linz

1. Der Ausgangsfall

Eine in der Form eines Sanatoriums gemäß § 2 Z 6 OÖ. KHG betriebene Krankenanstalt mit 120 Normbetten ohne bewilligte Krankenabteilungen „verlieh“ zahlreichen im Rahmen freier Dienstverträge tätigen Ärzten den Primararzttitel und stellte sich auf den Standpunkt, dass „jeder Zuständigkeitsbereich eines Facharztes in einer Krankenanstalt eine Krankenabteilung darstelle“.

2. Die gesetzlichen Grundlagen

Gemäß § 43 Abs 6 ÄrzteG 1998 (BGBl I Nr. 169/1998) dürfen die Berufsbezeichnung „Primararzt“ oder „Primarius“ nur Fachärzte unter der Voraussetzung führen, dass sie in Krankenanstalten dauernd mit der ärztlichen Leitung einer Krankenabteilung, die mindestens 15 systemisierte Betten aufweist, betraut sind und ihnen mindestens ein Arzt unterstellt ist (gleichgestellt ist die dauernde Leitung eines im Rahmen einer Krankenanstalt geführten Institutes oder eines selbstständigen Ambulatoriums, wenn den entsprechenden Fachärzten mindestens zwei zur selbstständigen Berufsausübung berechtigte, hauptberuflich tätige Ärzte unterstellt sind).

3. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes

Der Oberste Gerichtshof hat in einer grundlegenden Entscheidung (OGH 23. 5. 2006, 4 Ob 54/06 d; OLG Linz 15. 12. 2005, 6 R 182/05k; LG Linz 17. 6. 2005, 3 Cg 204/04m) festgehalten, dass das Krankenanstaltenrecht zwei bettenführende Organisationseinheiten einer Krankenanstalt, und zwar „Abteilungen“ mit einer allfälligen Untergliederung in „Departements“ und „Fachschwerpunkte“ (letztere mit nur 8 bis 14 Betten) kennt und sie begrifflich von den sonstigen durch Fachärzte betreuten „Einrichtungen“ der Krankenanstalt unterscheidet (vgl etwa § 2a Krankenanstalten- und KuranstaltenG; § 3 OÖ. KAG). Der Begriff „Zuständigkeits- oder Fachbereich eines Facharztes“ ist dem Krankenanstalten-Organisationsrecht unbekannt. Die Führung des Primararzttitels durch solche Fachärzte ist daher gesetzlich nicht gedeckt.

4. Die Argumentation über die systematische Auslegung

Eine systematische Auslegung des § 43 Abs 6 ÄrzteG lässt nach Meinung des Obersten Gerichtshofes (aaO) keinen Zweifel daran offen, dass der in § 43 Abs 6 ÄrzteG verwendete Begriff „Krankenabteilung“ die bettenführende Organisationseinheit „Abteilung“ einer Krankenanstalt meint, die sanitätsbehördlich bewilligt und in der Anstaltsordnung angeführt sein muss (vgl auch VwGH 28. 4. 1993, GZ 92/12/0028).

5. Die Argumentation über die historische Auslegung

Das Oberlandesgericht Linz hat seine Entscheidung (aaO) auch auf das im Folgenden wiedergegebene Resultat historischer Auslegung gestützt.

Bereits mit Verordnung der Bundesregierung vom 21. 12. 1927 (BGBl. Nr. 5/1928) wurde geregelt, dass zum Primararzt nur ein Arzt bestellt werden darf, der in einer öffentlichen oder in einer gemeinnützig betriebenen privaten Heil- und Pflegeanstalt, Irrenanstalt oder Gebäranstalt dauernd mit der ärztlichen Leitung der Krankenbehandlung in einer Abteilung betraut ist und dem mindestens ein Sekundararzt unmittelbar unterstellt ist oder dessen Abteilung einen systemisierten Belag von mindestens 20 Betten der allgemeinen Gebührenklasse aufweist. Für den Dienstposten „Leiter einer Krankenabteilung“ in diesem Sinne war der Amtstitel „Primararzt“ vorgesehen. In einer Anmerkung wurde zudem klargestellt, dass unter einer Krankenabteilung eine Abteilung im Sinne dieser Verordnung zu verstehen ist. Krankenabteilungen und Abteilungen haben sohin dieselbe Bedeutung. Mit dem Inkrafttreten der Ärztegesetznovelle 1964 (BGBl. Nr. 50/1964) trat die genannte Verordnung außer Kraft. An ihrer Stelle wurde dem damaligen § 4 ÄrzteG ein Absatz 6 angefügt, wonach die Berufsbezeichnung „Primararzt“ oder „Primarius“ Fachärzten vorbehalten ist, wenn sie in Krankenanstalten dauernd mit der ärztlichen Leitung einer Krankenabteilung, die einen systemisierten Bettenstand von mindestens 20 Betten allgemeiner Pflegegebührenklasse aufweist, betraut sind und ihnen mindestens ein Arzt unterstellt ist. Instituts- und Ambulatorienleiter waren ident zur heutigen Bestimmung geregelt.

Durch die aktuelle Fassung der Abs 1 und 6 des § 43 ÄrzteG 1996 kam es zu einer Reduzierung der Anzahl der systemisierten Betten auf 15 und den Wegfall des Erfordernisses, dass es sich um Betten der allgemeinen Pflegegebührenklassen handeln müsse (gem. § 152 Abs 4 BDG 1979 kann Militärärzten in Krankenanstalten die Verwendungsbezeichnung „Primararzt“ vorgesehen werden).

Diese historische Interpretation zeigt, dass die Begriffe „Abteilung“ und „Krankenabteilung“ keine unterschiedliche Bedeutung haben, sondern vielmehr synonym verwendet werden.

6. Der wettbewerbsrechtliche Charakter des Primararzttitels

Nach herrschender Auffassung kommt Regelungen, die die Führung von Berufsbezeichnungen zum Gegenstand haben, wettbewerbsregelnder Charakter zu (OLG Linz, aaO, unter Hinweis auf Gloy, Handbuch des Wettbewerbsrechtes, § 46 RZ 8 mwN). Die Berufsbezeichnung „Primararzt“ bedeutet eine Hervorhebung eines Facharztes gegenüber anderen Ärzten aufgrund seiner Leitungsfunktion. Da Primarärzte in der Bevölkerung gegenüber Ärzten, die diesen Titel nicht führen, eine höhere Wertschätzung genießen, führt ein Verstoß gegen § 43 Abs 6 ÄrzteG zu einem Verstoß gegen § 1 UWG, da ein solcher Verstoß geeignet ist, dem gegen die Norm Verstoßenden einen Vorsprung vor rechtstreuen Mitbewerbern zu geben.

Die unberechtigte Führung des Primararzttitels begründet ein sittenwidriges Handeln im Sinne des § 1 UWG, wenn es dem Arzt subjektiv vorwerfbar und geeignet ist, dem Verletzer einen sachlich nicht gerechtfertigten Vorsprung vor gesetzestreuen Mitbewerbern zu verschaffen. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes (aaO) hätte der Arzt bereits selbst leicht erkennen können, dass der Zuständigkeits- oder Fachbereich eines Facharztes in einer Krankenanstalt einer Krankenabteilung im Sinne des § 43 Abs 6 ÄrzteG nicht gleichgehalten werden kann; außerdem hätte der Arzt fachkundige Auskunft einholen können. Die gegenteilige Rechtsauffassung des Arztes bezeichnet der Oberste Gerichtshof als unvertretbar und meint unter Bezug auf den zu entscheidenden Fall, dass dann das fragliche Krankenhaus bei 120 systemisierten Betten 14 Primarärzte hätte.

1.8.2007